PER-MAN-EN-Z?
Zu den Bildern von Frank Lambertz
„Was
malen Sie?“ – „Was aus meinem Pinsel herauskommt“, zitiert Samuel
Beckett Cervantes in einem Text über das Werk seiner Malerfreunde Geer
und Bram van Velde.
In
dieser schlichten Frage und der ebenso schlichten Antwort, die sich
scheinbar der Frage verweigert, liegt vielleicht eine tiefe Einsicht in
das Wesen der bildenden Kunst, die auch wieder sehr schlicht ist:
Kunst ist ein eigenes Ausdrucksmedium, das sich nicht 1:1 in Sprache
übersetzen läßt, sondern eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt. Es gibt ein
gewisses Surplus, das die Grenzen des analytischen Bewusstseins
überschreitet und erweitert.
Auf
den ersten Blick mögen die Arbeiten von Frank Lambertz – neben einer
großen Zahl nichtfigürlicher Zeichnungen und Gemälde – vielleicht wie
eine Mischung aus Jean Dubuffet und Paul Klee wirken, mit einer Prise
aus der Sammlung Prinzhorn. Doch auf den zweiten, genaueren Blick
zeigt sich ein vielgestaltiger Kosmos an Motiven und
Ausdrucksmöglichkeiten.
Zentral
ist die menschliche Figur, die in mannigfachen Varianten erscheint.
Bisweilen wie in Kinderzeichnungen, mit in die Farbe geritzten
Umrisslinien, einfachen, „ungelenken“ Formen von archaischer Kraft.
Wichtige Elemente werden akzentuiert, vor allem die Augen. Häufig werden
Themen mehrfach durchgespielt, zum Beispiel der „Kistenläufer“ als
ambivalente Verbindung von Bewegung und Statik, Freiheit und
Gefangensein. Bei diesem Wiederaufgreifen verändern sich die Motive. So
transformieren „Madonnen“ sich hin zu abstrakten organischen Formen,
deren figürliche Ursprünge nur durch den Vergleich zu erschließen sind.
An der Grenze zur menschlichen Gestalt stehen Fratzen: manchmal
düster, manchmal melancholisch, manchmal von zeichenhaftem Charakter.
Auch
andere Motive tauchen immer wieder auf. Formen, die an Schalen oder
Boote erinnern. Oder Leitern, ein Topos von einem weiten
Bedeutungsspektrum von der Flucht- bzw. Rettungsleiter bis hin zur
„Himmelsleiter“, einem in fast allen Kulturen seit ältester Zeit
verbreiteten Symbol von nicht nur übertragenem, sondern auch realem
Charakter.
Ebenfalls
integraler Bestandteil vieler Bilder ist die Schrift, mit der eine
zweite, aber letztlich ebenso vieldeutige Bedeutungsebene eingefügt
wird. Teils als grafische Zeichen eingefügt oder aufgelöst, oft
übermalt, wecken die Begriffe Assoziationen und verweigern eindeutige
Auskünfte. Auch Zahlen tauchen auf – in einem Blatt mit der Skizze eines
gehörnten „Kentauren“ wie in einem Rätselheft als Aufforderung, die
Zahlen nacheinander mit einer Linie zu einer Zeichnung zu verbinden:
eine anwesend-abwesende zweite Zeichnung im Bild. Dazu die Buchstaben N
und Y = New York? Aber wie passt das zum Kentauren?
Neuerdings
entstehen serielle, additive Bildstrukturen aus nebeneinander
gesetzten Kästchen, die an eine Seite aus einem Storyboard erinnern.
Auch hier werden Erwartungshaltungen gleichermaßen geweckt wie
unterlaufen, denn in den Kästchen finden sich keine realistischen
Darstellungen, sondern abstrakte Formen, möglicherweise als
Weiterentwicklung von Figuren aus früheren Arbeiten.
In
all diesen Bildern zeigt sich eine Vielfalt unterschiedlicher
„Tonlagen“ vom pastosen, großzügigen Farbauftrag bis hin zu
differenzierten, filigranen Linien und Zeichnungen. Vielfältig sind auch
die verwendeten Materialien: Öl, Tinte, Aquarell, Bleistift,
Photoübermalungen, etc., die häufig in einem Bild kombiniert werden und
dadurch dem Werk eine zusätzliche plastische und haptische Qualität
geben. Die Größe der Arbeiten variiert von Großformaten auf Leinwand bis
hin zu kleinen Zeichnungen, wobei sich gerade die kleinformatigen
Arbeiten häufig durch eine erstaunliche Intensität auszeichnen. Weder
formal noch inhaltlich läßt sich diese Vielgestaltigkeit, die von einer
intensiven Auseinandersetzung mit einer großen Zahl von
Künstlerkollegen zeugt, auf Dubuffet und Klee reduzieren.
In
Becketts Text heißt es an anderer Stelle: „Halten Sie sich fern von
der abstrakten Kunst. Die wird von ein paar Gaunern und Nichtskönnern
fabriziert, die etwas anderes gar nicht zuwege brächten. Sie können
nicht zeichnen. Und Ingres hat doch gesagt, Zeichnen sei der Beweis für
Redlichkeit in der Kunst. Sie können auch nicht malen. Und Delacroix
hat doch gesagt, die Farbe sei der Beweis für Redlichkeit in der Kunst.
Halten Sie sich fern davon. So was kann jedes Kind.“ Dieses
Pauschalurteil, von Beckett polemisch vorgebracht, verkennt sowohl das
kindliche Ausdrucksvermögen wie auch eine Kunst, die die Grenzen einer
realistischen Naturnachahmung überschreitet. Was zu Zeiten eines
Ingres oder Delacroix adäquat war, kann sich ändern. Was sich
allerdings nicht ändert, ist die Wirkungsmacht der Kunst, dieses
Unbestimmbare „man sieht mehr, als man weiß“.
Dr. Eva-Maria Kaufmann
1 Samuel Beckett: Die Malerei der van Veldes oder Die Welt und die Hose , Frankfurt a.M. 1990, S. 41